Christoph Demmerling

Dekan der Philosophischen Fakultät

AK: Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, um mit uns über die Tradition des Talartragens an der Universität Jena zu sprechen. Es heißt ja: „Kleider machen Leute.“ Empfanden Sie das ähnlich, als Sie für die feierliche Immatrikulation den Talar angezogen haben?

CD: Ich versuche gerade, mich zu erinnern, es war ganz lustig, sich in das Kleidungsstück hineinzufinden, es ist ja ein Kleidungsstück, das im Alltag keine Rolle mehr spielt und das stark mit Assoziationen an vergangene Zeiten verknüpft ist. Ich bin gelernter Katholik, man könnte auch sagen ein Kulturkatholik. Heute mache ich mir nichts mehr aus Glaubensfragen, aber die kulturelle Orientierung bleibt. Zum Katholizismus gehört auch der Karneval. Und im Karneval verkleidet man sich und haut auf den Putz, bevor die karge Fastenzeit beginnt. Insofern ist mir die Lust an der Verkleidung nicht fremd. Aber ich habe mich bis zum Anlegen des Talars noch niemals in eine Rolle verkleidet, die ich innehatte. Der Dekan hat sich als Dekan verkleidet, das war etwas Neues. Man kommt sich dabei schon so ein wenig vor wie auf einer Zeitreise in die Vergangenheit oder wie ein Darsteller in einem Kostümfilm. Ansonsten habe ich mich vielleicht aus dem Grund nicht so sehr mit dem Kleidungsstück anfreunden können, weil der Talar nur in einer Einheitsgröße vorliegt. Der Talar ist bestimmt fünf Nummern zu groß für mich. Böswillig formuliert könnte man jetzt sagen, wenn Kleidung nicht passt, vor allem wenn sie zu groß ist, wird man zu einer Witzfigur, zu einer Parodie eines Dekans und das sollte ja anlässlich einer Feierstunde nicht so sein.

AK: Wir haben die Beobachtung gemacht, dass es mit Ausnahme der Vizepräsidentin für Lehre und Forschung nur Männer sind, die in diesem Semester Talar tragen. Wir finden das bemerkenswert.

CD: Es war im vergangenen Semester so, dass es einfach keine Dekaninnen gab. Der Grund dafür ist, dass aufs Ganze gesehen der Männeranteil innerhalb der Professorenschaft immer noch größer ist als der Frauenanteil. Und ich könnte mir vorstellen, dass der geringe Anteil an Dekaninnen, auch damit zu tun hat, dass es oft etwas ältere Professor:innen sind, die das Amt übernehmen. Und der Frauenanteil in der älteren Generation ist noch mal geringer als bei den Jüngeren. 

AK: Unser Ausstellungsprojekt fragt, ob der Talar aus der Zeit gefallen ist. Also, Talar oder nicht Talar? Was würden Sie sagen? 

CD: Ich würde sagen, die Frage sollte man differenziert beantworten. Aber man kann sagen, dass es keine übliche Praxis mehr an den Universitäten ist. Ich habe an vielen Universitäten gearbeitet und mir ist das nie begegnet. Allerdings war ich nie in der Rolle, in der man Talar trägt. In Marburg war ich zwar auch mal Dekan im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie. Aber da wäre es völlig undenkbar gewesen einen Talar zu tragen. Ich denke, es ist vor allem auf die 68er-Bewegung zurückzuführen, dass sich der Talar als Symbol für eine verkrustete, autoritäre Universität in das kulturelle Gedächtnis eingebrannt hat. Wenn man Anhänger der Gremienuniversität und diskursiv orientierter Entscheidungsprozesse ist und wenn man den Talar als Symbol autoritärer Universitätsverfassungen ansieht, dann ist das Tragen eines Talars aus der Zeit gefallen.

AK: Was wären die wichtigsten Argumente für oder gegen das Talartragen bei uns in Jena?

CD: Ich meine grundsätzlich habe ich da eine ganz entspannte Haltung. Ich denke, dass die Universität sich zu manchen Anlässen auch feierlich präsentieren und das in entsprechender Bekleidung bestimmter Personen zum Ausdruck bringen darf. Das ist sinnvoll und es ist auch sinnvoll an Traditionen festzuhalten. Traditionen erinnern uns an unsere Geschichte, tragen zu einem Verständnis unserer Identität bei. Aber daneben sollte immer auch ein Wille zur Innovation stehen. Rituale sind dann abzuschaffen, wenn sie nur noch zu einer Hohlform erstarrt sind und nur noch der Selbstbeweihräucherung ihrer Protagonist:innen dienen. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass das hier in Jena und bei unseren talartragenden Dekan:innen der Fall ist. Die mögen die Sache zwar ernst nehmen, aber so ernst auch wieder nicht.


Das Interview wurde geführt von Adrian Karl, Student der Volkskunde und Kulturgeschichte.