Karina Weichold
Vizepräsidentin für Studium und Lehre, Entwicklungspsychologin
LP: Wie empfanden Sie die feierliche Immatrikulation, die festliche Begrüßung aller Erstsemester, im WS 2023?
KW: Für mich ein besonderer Tag. Es war die erste große Veranstaltung nach meiner Wahl zur Vizepräsindentin für Studium und Lehre, bei der ich mich der Öffentlichkeit in der neuen Funktion vorstellte.
LP: Wie würden Sie das Gefühl beschreiben, den Talar im Festsaal zu tragen?
KW: Es war das I-Tüpfelchen auf dem aufregenden Tag. Allein in den Vorbereitungsraum zu kommen und die bunten Talare nebeneinander auf den Tischen liegen zu sehen, fand ich schon spektakulär, ebenso die alte Schatulle mit der Universitätskette, die Herr Rosenthal neben mir öffnete. Es ist eine Ehre, die traditionellen Gewänder und Accessoires tragen zu dürfen; der Talar ist eine Rahmung für das Amt und das seit langer Zeit. Als ich den Talar angezogen hatte, fühlte sich das natürlich ungewohnt an, in so viel Stoff und Falten ist man normalerweise nicht eingehüllt. Der Samtbesatz ist weich, der Mantelstoff schwer. Die alltägliche Kleidung verschwindet darunter. Man fühlt sich geschützt (vielleicht auch vor zu viel Öffentlichkeit) und trägt es mit einer gewissen Würde.
LP: Was hätten Sie als Studentin gesagt, wenn man Ihnen prophezeit hätte, dass Sie einmal Talar tragen werden?
KW: Ich hätte das nie für möglich gehalten. Ich komme aus einer Nicht-Akademiker-Familie und habe nicht als Berufsziel Professorin mit Amt in der Hochschulleitung gehabt. Sondern ich wollte Psychologie studieren, aus Interesse und im Laufe des Studiums mit dem Ziel, für breite Personengruppen Kompetenzen und Lebensbedingungen so zu verbessern, dass eine gesunde Entwicklung wahrscheinlich und Probleme, Störungen und Leid verhindert werden. Darüber hinaus hatte ich ein großes künstlerisches Interesse, das auch dazu führte, dass ich an der FSU nebenbei Kunstgeschichte studierte. In diesem Kontext hatte ich auch meinen ersten Kontakt mit dem Thema Talar, als am Ende meines Studiums, 1997, die Rektorenbilder im Talar von Anke Doberauer an der Universität Jena präsentiert wurden. Damals wurde eine breite Diskussion angeregt, ob die Darstellung in der Amtstracht auch für diejenigen Rektoren angemessen ist, die in ihrer Forschung oder persönlichen Haltungen gegen die Standards der heutigen Zeit verstoßen haben. Ich fand es spannend, darüber nachzudenken und mag bis heute die Farben der Bilder, die ich jedes Mal sehe, wenn ich ins Präsidialamt gehe.
LP: Fast nur Männer tragen Talare. Ist das nur in diesem Semester so, oder ist das üblich? Was sind die Gründe hierfür?
KW: Traditionell ist das Tragen eines Talars als Professor eher ein männliches Thema. Erst vor 100 Jahren wurde die erste ordentliche Professorin an einer deutschen Hochschule in Jena berufen, Mathilde Vaerting. Leider sind bis heute nur sehr wenige Frauen in die Universitäts- und Fakultätsleitung involviert, deswegen gibt es auch wenige potentielle Talarträgerinnen bei Festveranstaltungen der Uni. Die Gründe dafür sind vielschichtig: die Arbeitsbelastung in einem solchen Amt, zusätzlich zu dem normalen Arbeitsaufkommen und gegebenenfalls zu familiären Aufgaben, ist hoch.
LP: Der Arbeitstitel unserer Ausstellung lautet „Aus der Zeit gefallen?“ Finden Sie, dass das Talartragen aus der Zeit gefallen ist?
KW: Für besonders festliche Anlässe ist es angemessen, im Rahmen der traditionellen Amtstracht gekleidet zu sein. Warum sollte man diese alten, schönen Stücke auch der Öffentlichkeit vorenthalten? Unter dem Talar hat der Träger immer noch seine normale, persönliche Kleidung, seine Identität, die er oder sie ja mit dem Tragen des Talars nicht aufgibt. Damit sind Tradition und Moderne verbunden, was ich für wichtig halte.
LP: Sie haben auch andere Universitäten in Deutschland und im Ausland kennengelernt. Wurden an den diesen Unis von den Professor:innen zu Festanlässen ebenfalls Talare getragen?
KW: Besonders im anglo-amerikanischen Raum tragen Unileitungen aber auch Absolventen Talare. Ich habe auch zu einer Dissertationsprüfung an der Universität Nijmegen in den Niederlanden einen Talar getragen und an der Universität in Turin, Italien. Das Talar-Tragen an Universitäten ist also keine genuin deutsche Tradition.
Das Interview führte Ludwig Polak, Student der Kunstgeschichte und Filmwissenschaft.